Walter Gaasch, geboren am 19.06.1908 in Frankfurt (Oder), verstorben am 12.05.2009
Er besuchte von 1914 bis 1922 die Volksschule. Von 1922 bis 1926 erlernte er den Beruf eines Buchdruckers in der Druckerei Trowitsch in Frankfurt (Oder) und übte den Beruf in verschiedenen Druckereien bis 1932 aus.
Am 01.08.1932 wechselte er in die Fahrkartendruckerei der Reichsbahndirektion
Berlin in Frankfurt (Oder). Dort arbeitete er bis 1945 als Werkführer.
Nach der Rückkehr von der Evakuierung im Mai 1945 arbeitete er bei der
Bahnmeisterei Frankfurt (Oder). Dort war er überwiegend beteiligt beim Umnageln
der Gleise auf Breispur.
Im Januar 1946 ließ er sich zum Zugschaffner ausbilden und wurde im Februar in
die Lokkolonne 1 aufgenommen.
Am 12.02.1946 erfolgte der erste Einsatz nach Brest als
Schlussschaffner. Die Fahrt bis zum Zielbahnhof dauerte zwei Wochen. Auf dem
Bahnhof 25 Grad minus und 40 cm Schnee.
Nach zwei Tagen Wartezeit begann bei 30 Grad minus die Zugbildung. Alle
Heizleitungen eingefroren, die Luftleitungen steinhart, das Kuppeln eine
Knochenarbeit.
Nach circa einer Woche kamen wir wieder in Frankfurt an.
Als Nachgedanken: Das ist die 1. und letzte Fahrt gewesen und trotzdem wurden es
dann doch gut 6 Jahre.
Untergebracht waren wir, 11 Mann, 3 Lokführer, 3
Lokheizer, 2 Zugführer, 2 Zugschaffner und 1 Wagenmeister in einem Abteilwagen
3. Klasse. In einem Abteil 2 Mann, zwischen 2 Abteile ein Eiserofen mit
Kochplatte, aber nur bei Stillstand zu nutzen. Beim Fahren blieb nichts im Topf.
Geschlafen wurde auf den Bänken.
Bei der Rückkehr ins Bahnbetriebswerk musste die Lok sauber sein. Es erfolgte
eine Abnahme durch den sowjetischen Kommandanten. Bei Zufriedenheit gab es 1 - 2
Tage Sonderurlaub für die ganze Brigade. Bei Beanstandungen kaum einen Tag bis
zur nächsten Fahrt.
Im Herbst 1947 hatten wir eine Fahrt mit einer Ladung Boote für Wassersport. In Posen ging es nach kurzem Aufenthalt weiter nach Gnesen, ca. 35 Kilometer hinter Posen. Dort trafen wir zwei Brigaden die schon einige Tage dort standen.
Auf den Fahrten hatten wir auch immer etwas zu verkaufen
mit um an Zlotys zu kommen. Aber die Polen hatten kaum Geld. Alles wurde in
Naturalien bezahlt. Als Beispiel für eine Blumenpostkarte 1 Ei, oder es wurde
mit Speck, Butter, Leinöl u.ä. bezahlt. Ein Zugführer hatte eine
Haarschneidemaschine mit. Die Polen kamen mit ihren Kindern. Für ein Haarschnitt
wurde mit zwei Eier bezahlt. So hatte der Kollege mitunter die ganze Brigade mit
Eier versorgt. Bei unseren Fahrten konnten wir feststellen, dass seitens der
Polen uns gegenüber Drohungen und Hass nie vorkamen.
Hier möchte ich einmal einflechten, dass es Ende der vierziger anfangs der
fünfziger Jahre Lebensmittel aller Art in Polen in Überfluss gab. Für uns, als deutsche
Brigadefahrer, kamen allerdings nur die in Frage, die es in der damaligen
sowjetischen Besatzungszone nicht gab. Es gab ja nur das Notwendigste auf
Lebensmittelkarten. Seitens der Brigadefahrer wurden angeboten Rasierklingen,
Nähmaschinennadeln, Fieberthermometer, auch alte, noch gute Kleidungsstücke,
Kämme aller Art u.v.a. Als Gegenleistung seitens der Polen wurde vor allem
reichlich Speck, Leinöl, Eier, Schmalz, Wurstkonserven, Bohnenkaffee u.a.
angeboten. Auch Geld wurde getauscht. Hundert Deutsche Mark für 300 - 400 Zloty.
Natürlich musste alles gut verstaut werden, denn an den Grenzen, bei Hin- und
Rückfahrt, gab es Kontrollen durch polnischen Zoll und Grenzmilitz. Aber die
Brigadefahrer waren sehr erfinderisch und meistens ging alles gut, zumal auch
Zöllner und Grenzmilitz oftmals am Handel beteiligt waren. Ein Fläschchen mit
Hochprozentigem welches bei Kontrollen oft auf dem Tisch stand, wurde selten
übersehen.
Eine andere Episode: Oft wurden auch Transporte nicht
über den polnischen Grenzbahnhof Terespol sondern über den Grenzbahnhof
Cheremca geleitet. Hier standen mitunter 6 - 7 Transporte 3 - 4 Tage, ehe es
weiter über die Grenze nach Brest ging. Dicht beim Bahnhof war ein Sportplatz,
der dann auch zu Fussballspielen genutzt wurde. Es kam dabei zu fast
internationalen Begegnungen, z.B. deutsche Eisenbahner gegen polnische Grenzer
oder polnischen Eisenbahnern. Auch spielte das sowjetische Begleitkommando mit,
die ja bei den Transporten mit einem Offizier und 5 - 6 Soldaten dabei waren.
Auch bei Spielen Russen gegen Polen wurde lautstark zugeschaut.
Standen wir über Festtage, Ostern, Pfingsten, Weihnachten oder Silvester auf
diesem Grenzbahnhof, wurde meist mit allen gemeinsam in einer großen Baracke
gefeiert. Allerdings von uns aus nur so lange bis wir merkten das bei Polen und
Russen der Alkohol anfing zu wirken, denn dann kam es in der Regel zwischen
diesen Gruppen zu ziemlich heftigen Schlägereien. Ansonsten wurde bei längeren
Aufenthalten mit Skat spielen die Langweile vertrieben.
Ein weiteres Erlebnis: Wir fuhren einen Kohlenzug (Brikett) nach Rawa-Ruskaja, circa 60 km hinter der polnische Grenze in der Sowjetunion. Die Fahrtroute verlief über Frankfurt - Bentschen - Kalisch - Lodz - Radom, dann durch zum Teil polnisches Mittelgebirge Richtung Ostrowiece - Tomaszow bis Rawa-Russkaja. In Streckenabschnitten des Gebirges waren starke Steigungen, auch Kurven, wo dann die Geschwindigkeit nur mäßig war. In diesem Streckenabschnitt stürmten ca. 100 - 120 Polen auf der ganzen Zuglänge verteilt den Zug und warfen links und rechts jede Menge Briketts ab. Was sonst nie der Fall war, waren vom sowjetischen Begleitkommando 4 Posten auf die ganze Zuglänge verteilt. Auch bei mir auf der Schlussbremse war ein Posten. Alle begannen sofort zu schießen. Ob gezielt oder in die Luft konnte ich nicht feststellen. Auch von polnischer Seite wurde geschossen. Auf dem Zug wurde niemand verletzt. Später sagten uns die Russen, dass das öfter geschehen war und sie die Strecke kannten. Das war für uns kein angenehmes Erlebnis.
Ein anderes Geschehen mit Schießerei zwischen Russen und Polen. Von Frankfurt fuhren wir einen normalen Militärtransport nach Brest über Posen - Kutno - Warschau - Siedlce - zum polnischen Grenzbahnhof Terespol. Dort hatten wir längeren Aufenthalt. Da es ja Grenzbahnhof war durften wir unseren Brigadewagen nicht verlassen. Bei Anbruch der Dunkelheit klopfte es an unseren Wagen. Es waren polnische Grenzer. Sie sagten uns, es passiert gleich etwas, wo wir aber nichts mit zu tun hätten. Sie rieten uns nichts ans Fenster zu gehen und uns am besten flach auf den Fussboden zu legen. Nach circa ein halbe Stunde ging eine mächtige Schießerei los. Begonnen hatten die Polen, was dann von den Russen erwidert wurde. Da auf dem Bahnhof das Licht abgeschaltet war ballerten die Russen wild um sich da sie kein Ziel ausmachen konnten. Die Polen kannten ihre Ziele genau. Das ganze dauerte circa 20 Minuten. Unsere Lok und Brigadewagen hatten nichts abbekommen. Kurz darauf war auch der Bahnhof wieder erleuchtet, aber alles blieb ruhig. Sehr schnell ging es dann weiter nach Brest. Ein Kilometer bis zum Bug, die polnisch - russische Grenze, und 500 Meter weiter der Riesenbahnhof Brest. Wie wir erfuhren war auch dort die Schießerei zu hören gewesen. Was aber war die Ursache? Auf der Rückfahrt erfuhren wir in Terespol das russische Soldaten bei einem polnischen Bauern ein Schwein gestohlen hatten. Das Schwein wurde gleich im Wagen geschlachtet und man fing an zu braten. Durch den Duft waren die polnischen Grenzer aufmerksam geworden und haben dann von einem aufgeregten Polen erfahren was geschehen war. Ergänzend sei zu bemerken, das Russen und Polen fast nie freundschaftlich miteinander verkehrten.
Es kann Ende 1947 oder Anfang 1948 gewesen sein, als der
Lokolonne 1 acht Lokomotiven der Baureihe 01 zugeteilt wurden. Mit diesen Loks
wurden dann von uns die RU-Züge gefahren Bis dato fuhren die Russen ihre
"RU-Züge", russische Urlauberzüge, selbst . Die dazu notwendigen Brigaden wurden
neu zusammen gestellt. Es gab keinen Wagenmeister mehr, Unterwegs auftretende
Störungen mußten vom Zugpersonal behoben werden.
Die Brigaden bekamen D-Zugwagen als Wohnwagen, die gegenüber denen im
Güterzugdienst fast konfortabel eingerichtet waren. Das Mittelteil als
Schlafraum, jeder Mann sein Bett. An einem Ende Aufenthaltsraum und
Kochgelegenheit für das Lokperonal (6 Mann), am anderen Ende das Zugpersonal (4
Mann).
Bei einer Fahrt zwischen Posen und Kutno wurde auf einem
Abschnitt von circa 12 - 15 Kilometer 3 mal die Notbremse gezogen und immer im
selben Wagen. Es stellte sich heraus, dass einige angetrunkene Soldaten und auch
Offiziere ihren Spass daran hatten den Zug anzuhalten. Nach unserer Meldung beim
Zugkommandanten und dessen Strafandrohung an die Urheber hörten diese Späße auf.
In Brest konnten wir dann beobachten das alle Soldaten und Offiziere dieses
Wagens gesondert antreten mußten und der Bahnhofsmilitz übergeben wurden.
Ansonsten waren während dieser Zeit keine besonderen Vorkommnisse zu
verzeichnen. Die Fahrten verliefen normal und meist planmäßig.
Es fuhr täglich ein Transport mit 11 oder 12 Schnellzugwagen von Frankfurt
(Oder) Verschiebebahnhof ab gegen 12 Uhr, Ankunft in Posen gegen 17 Uhr. Hier
wurde abgespann und restauriert. Wir hatten dann Standzeit bis zum nächsten Tag.
Gegen 17 Uhr übernahmen wir den ankommenden RU aus Frankfurt (Oder) und fuhren
dann weiter bis Warschau Ostbahnhof. Hier dann wieder wie in Posen. Am nächsten
Tag ging die Fahrt dann weiter bis Brest Personenbahnhof. Dort hatten wir nur 3
Stunden Übergangszeit und es begann die Rückfahrt. Der Ablauf erfolgte wie auf
der Hinfahrt.
Ab 1949, es kann Juli/August gewesen sein, wurde dieser Plan aufgelöst. Die RU-Züge wurde nun von der PKP (polnische Eisenbahn) befördert. Die Personale wurden wieder in den Güterzugdienst eingegliedert, die Schnellzugloks wurden anderen Betriebswerken zugewiesen.
Ende 1950, nach Abschluß der Aufbauarbeiten, wurde das Betriebswerk Verschiebebahnhof Transit-Betriebswerk. Es wurden mehrere Kolonnen aus anderen Standorten nach Frankfurt zusammen gezogen. Es entstand ein Bestand von 120 Loks mit 120 Brigaden. Leiter dieser gewaltigen Dienststelle von circa 1630 Mann, zuzüglich des stationären Personals, war der Reichsbahn-Amtmann Heinrich Möller. Ab 1954 wurde Heinrich Möller Amtsvorstand beim Reichsbahnamt Frankfurt (Oder).