Manfred Schreier, geboren am 02.01.1922, verstorben 2001
Er ist von Beruf Schlosser, bei der Deutschen Reichsbahn seit Oktober 1945, erhielt eine Zusatzausbildung als E- und A- Schweißer
Der Eisenbahn-Ausbesserungszug Nummer 4 (EAZ 4)
wurde ausgerüstet und besetzt durch die
Reichsbahnausbesserungswerke (RAW) Zwickau, Chemnitz und Leipzig-Engelsdorf.
Im November 1945 erfolgten im RAW Zwickau Aussprachen zur Besetzung eines
Ausbesserungszuges für Reparaturen von Lokomotiven - wobei aber in keiner Weise
gesagt wurde, wann und wo der Einsatz eines solchen Zuges erfolgen sollte. Es
dauerte dann bis Ende Dezember ehe die Besatzung festgelegt war. Denn oftmals
traten Beschäftigte, die als ehemalige Flüchtlinge Arbeit im Werk gefunden
hatten, von ihrer Verpflichtung zurück, weil plötzlich nach langem vergeblichen
Suchen Familienmitglieder gefunden wurden und so eine Familienzusammenführung
stattfinden konnte. Solch einem Glück wollte keiner im Wege stehen.
Auch ich übernahm die Stelle eines älteren Kollegen aus Schlesien, der seine
Familie nach jahrelanger Kriegstrennung endlich wieder gefunden hatte.
Am 06. Januar 1946 war es dann soweit und der Zug circa 16
Güter- und Personenwagen setzte von Zwickau aus sich in Bewegung. Die Reise ging
über Chemnitz und Leipzig, wo die Besatzung des Zuges durch Beschäftigte dieser
Reichsbahnausbesserungswerke vervollständigt wurde, weiter nach Karlshorst. Von
dort aus wurde festgelegt, wo der Einsatz erfolgte. Nach gut einer Woche war
klar: Unser erster Einsatzort heißt Frankfurt (Oder). Mitte Januar 1946 setzten
wir unsere Fahrt in östlicher Richtung fort.
Fast alle Zugmitglieder hatten als Soldat den Krieg überlebt und waren froh in
der Heimat zu sein, so war es nicht verwunderlich, dass es bei vielen hieß:
"Wenn wir die sowjetische Besatzungszone verlassen und über die Oder fahren,
springen wir vorher ab, ins Ausland - nach Polen - gehen wir nicht."
Der Zug war insgesamt gut ausgerüstet und das Personal
somit in der Lage alle anfallenden Reparaturen an Lokomotiven durchzuführen.
So waren neben Mannschaftwagen mit Betten, Schränken und Kanonenöfen, Tischen
und Stühlen noch
- ein Wagen als Werkstatt mit Drehbank und Fräsmaschine, Kurzhobler, Feilbank
und Ständerbohrmaschine,
- ein Wagen als Schmiede mit Gebläse, Amboss und Zangenset,
- ein Wagen als Werkzeugausgabe mit allen notwendigen Werkzeugen und auch
- ein Wagen mit kleinen Ersatzteilen war vorhanden.
Ein Küchenwagen mit entsprechendem Personal und Kochgeräten war eingerichtet und
sorgte für das leibliche Wohl der Mannschaft.
- Dem Zugleiter stand ein entsprechender Bürowagen zur Verfügung. In diesem
Wagen waren dann auch die Verwaltungskräfte tätig.
Unser Chef und Zugleiter hieß Müßiggang. Als Vertreter der Gewerkschaft war von
uns Kollege Spranger benannt. Für eine ordnungsgemäße Arbeitsvorbereitung und
-durchführung trugen die Meister Wendler und Wolff die Verantwortung.
Über allem jedoch stand der sowjetische Kommandant des
Bahnhofs und des Bahnbetriebswerkes, der neben der Arbeit auch für die
Verpflegung mit sorgen musste. Wir konnten feststellen, dass es unser
Küchenpersonal verstand, aus dem was vorhanden war, ein gutes und schmackhaftes
Essen zu bereiten.
Ganz wichtig war natürlich die Ausgabe von Krimtabak und wenn es nicht anders
ging, der Erhalt von den berühmten sowjetischen Machorka, der am besten
schmeckte, wenn er als Zigarette aus dem Papier der sowjetischen Zeitung
"Prawda" gedreht wurde.
Heute kann man es ja sagen, Brot war immer knapp und so wurde mancher Koffer
mit Brikett gegen Brot und Kartoffeln eingetauscht.
Wir standen, nachdem wir in Frankfurt angekommen waren
mit unseren Mannschafts-, Büro- und Küchenwagen auf den Abstellgleisen in Höhe
der Bahnmeisterei über den Straßentunnel zum Bahnhof.
Die Werkstattwagen wurden im hinteren Teil des Lokschuppens -auf den kurzen
Gleisen- des Bahnbetriebswerkes Frankfurt (Oder) Personenbahnhof abgestellt. Es
dauerte nur zwei Tage und unsere Reparaturarbeiten begannen. Wir waren
verantwortlich für die Reparaturen der Lokomotiven, die im Transitverkehr nach
Brest eingesetzt waren, das waren Lokomotiven der Baureihe 52.
Wir waren im durchgängigen Schichtdienst, 12 Stunden Dienst, 24 Stunden frei, im
Bedarfsfall operativ, eingesetzt und hatten viel Arbeit. Jede Lok sollte schnell
wieder einsatzfähig sein. Darauf achtete besonders der sowjetische Kommandant.
So kam es nicht selten vor das der Zugleiter zum Rapport musste und auch schnell
einmal 24 Stunden einsaß.
Während wir in den ersten Wochen noch mit eigenen Material auskamen, wurde es ab
März/April schon schlechter. Schweißdraht und Elektroden wurden immer knapper.
Nun wurden die Güterzüge auf Draht untersucht und mit Bolzenschneider ,
Kneifzange oder Seitenschneider Draht für Schweißarbeiten besorgt. Weicher Draht
wurde gerichtet, zugeschnitten, in Karbitschlamm getaucht und als Elektrode
genutzt.
Ich kann mich an eine Episode erinnern: Da kam eine Lok der Baureihe 01, welche kalt nach Polen gehen sollte und auf dem Gleis an der Lokleitung abgestellt war. Natürlich wurde die Lok auf brauchbares Gut untersucht. Wir wurden fündig, in der Feuerbuchse auf denn Rosten lagerten hunderte von Drehmeißeln, Bohrer aller Größen und andere Kleinteile. Wer konnte es uns verübeln, dass wir für unsere Arbeit auch einiges dringend benötigten.
Es war nicht leicht alle Forderungen, die an uns gestellt
wurden, so ohne weiteres zu erfüllen. Aber eines muss gesagt werden: Die
Belegschaft des Zuges - ältere und jüngere Kollegen- waren eine fest
verschworene Gemeinschaft und da half jeder den anderen, nicht ausgeschlossen
davon auch die Verantwortlichen der Zugleitung, der es ja auch nicht immer
gelang den Wünschen und Anordnungen der sowjetischen Kommandanten gerecht zu
werden.
Ja, was tat man nicht alles, um an etwas essbaren oder Rauchware heran zu
kommen. Da wurden Speck und Zigaretten von großer Fahrt mitgebracht in
Verstecken, die da oder dort an der Lok oder am Tender eingebaut wurden. Die
Angehörigen des Zolls wurden doch so manches mal fündig, aber solange
keine Devisen oder andere kriminelle Dinge geschmuggelt wurden, war alles halb
so schlimm.
Da wir auf dem Abstellgleis im Bahnhof standen und auf
beiden Seiten neben uns Transporte unter Bewachung sowjetischer Soldaten fuhren,
wurde manche Flasche Wodka gegen essbares eingetauscht. So konnten wir für Wodka
2 Sack Erbsen eintauschen, die sich bei genauen Hinschauen als Rohbohnenkaffee
herausstellte.
In einer Nacht war der halbe Bahnhof betrunken, denn auf den Gleisen stand
abgestellt ein undichter Behälterwagen gefüllt mit reinem Sprit. Mit Eimern,
Topfen und allen möglichen Gefäßen wurde abgefüllt und verteilt.
Ein gutes Verhältnis hatten wir als Angehörige des
Eisenbahnausbesserungszuges auch mit den Kollegen vom Betriebswerk
Personenbahnhof. So arbeiteten wir mit unserem Zug bis September 1946 in
Frankfurt (Oder).
Ende September wurden wir dann umgesetzt nach Seddin. Bei dieser Fahrt mussten
wir alles verriegeln und verrammeln. Unterwegs wurde von umherziehenden Horden
versucht in unsere Wagen einzudringen. Wir kamen aber alle gesund in Seddin an.
In Seddin standen wir am Rande des
Bahnbetriebswerkes, die Gerätewagen standen im Lokschuppen. Neben der Baureihe
52 mussten wir nun auch Lokomotiven der Baureihe 01 und 03 reparieren.
Nach 6 Wochen wurde der Zug dann umgesetzt nach Weißenfels. Dort standen
wir mit den Mannschaftwagen im Rundschuppen und gearbeitet wurde im
Rechteckschuppen. Wegen knapper Verpflegung wurden dort oft Brot und
Kartoffeln gegen Brikett eingetauscht.
Im April 1947 wurde der Zug zur
Überholung nach dem Reichsbahnausbesserungswerk Zwickau zurückgeführt.